Die kleine Geschichte vom Föhn

Kurzgeschichte ergänzend zur Anfrage an Via Lewandowsky Bona Fide (Ertrinken) in Stand zu setzen (2017)

Als meine Frau sich von mir scheiden ließ, kaufte ich mir einen Fön. Ich habe keine Haare. Ich wusste, ich brauche unbedingt einen Fön. Ich habe mich sehr genau über alle Modelle informiert und dann selbstverständlich über die Modellentwicklung, die Geschichte des Föns.

Foen ist eine eingetragene Wortbildmarke der Electrolux Rothenburg GmbH aus Nürnberg, die am 11. ­August 1960 beim Deutschen Patent- und Markenamt registriert wurde und die sowohl zur Körper- und Schönheitspflege als auch zur Trocknung und Heizung und zur Erzeugung kalter und heißer Luftströme geeignete elektrische Geräte schützt. Ein markentechnisch neutraler Begriff wäre der Haartrockner oder die Heißluftdusche.

Manchmal genieße ich es, mich nach der Dusche oder nach einem Bad luftzutrocknen. Ich stelle mich vor den Spiegel und schaue auf meine nasse Haut, die Wassertropfen darauf und wenn es beginnt mich zu frieren, fange ich mit meinem Heißluftprozess an.

Es gibt einen Fön, das können Sie sich gar nicht vorstellen als Laie, der kostet 400 und ist unter Kennern bekanntermaßen sein Geld wert. Das muss für mich natürlich noch lange ein Traum bleiben, trotzdem habe ich einige Geräte auf die Probe gestellt, was nicht immer jeder private Verkäufer versteht, der sein Altgerät loswerden möchte. Ursprünglich wollte ich ein robusten und zuverlässigen Haartrockner, aber als ich dann dieses etwas leistungsstärkere Modell in der Hand hielt, das vielleicht ein bisschen zu sehr nach Plastik aussah und schon 15 Jahre auf der Turbine hatte, hat es mich beinahe weggepustet und die Sache war beschlossen.

Eines Tages war mein Fön kaputt und obwohl das für mich auch beruflich eine stark belastende Zeit war, habe ich jede Nacht versucht meinen Fön zu reparieren. Ich dachte viel an meine Frau dabei. Föne sind nicht übermäßig komplex, ich habe schon öfter Dinge nach einer Anleitung repariert, aber diesmal wollte es mir einfach nicht gelingen. Ich war regelrecht in Panik. Hatte ich einen Verdacht, fand ich einen kleinen Fehler und korrigierte ihn, war er doch nicht verantwortlich für den – immer wieder kurz nach dem Einschalten auftretenden – Totalausfall.

Meine letzte Hoffnung war ein Elektrotechniker, den mein Vater bereits kannte. Ich vertraute ihm die Maschine an und bat ihn mir zu berichten, was er finden könne und was es kostete. Nach zwei Wochen rief er mich an und berichtete mir, er könne keine Mängel an der Peripherie erkennen, wenn er sich jetzt die Zeit nähme, zum Kern des Geräts vorzudringen, explodierten die Kosten, das könne er mir nicht anraten.

Da war ich sehr erleichtert, dass der berufliche Stress auch mit einem kleinen Zubrot verbunden war und als ich zufällig genau das gleiche Modell wiederfand, zwar in einer anderen Farbe, aber in einem technisch wesentlich besseren Zustand, ergriff ich die Gelegenheit und dachte noch bei mir, dass ich ja meinen bisherigen Fön als Ersatzteilgeber verwenden könne. Deshalb ging ich in die Werkstatt um ihn abzuholen und der alt bekannte Elektrotechniker empfing mich mit seiner abweisenden Herzlichkeit: «Gib mir fünf, hab den Fehler doch gefunden, is’ wieder zugeschweißt.»

Seitdem habe ich zwei Föne und ich bin zutiefst beruhigt. An jedem noch so schwierigen Tag, wenn ich die Nacht durchgearbeitet habe und jetzt gleich abliefern muss, wenn ich an meine Ex-Frau denke und wie schade es ist, wenn ich das Gefühl habe, meinen Bruder im Stich gelassen zu haben – in jedem dieser Momente schaue ich nach meinen beiden Fönen.

Es gibt einen Film, da sitzt einer in der Badewanne und bedroht seinen Rauschkumpanen mit dem Messer: er solle den Kassettenrecoder auf dem Höhepunkt des Stücks zu ihm ins Wasser zu werfen. Der Höhepunkt, das ist der Aufruf des Türknaufs: «Füttere deinen Kopf, füttere deinen Kopf!» Ein sehr elektrisches Futter – meiner Meinung nach. Ob er sich wünschte mit dem Lied und all seiner Bedeutungen zu verschmelzen? War das seine Lösung an- und für-sich? Vielleicht war es nur eine verworrene Eingebung der Pillen, die in seinem Kopf geisterten und wahrscheinlich war es verständlich, dass der Freund ihm seinen Wunsch in diesem Moment nicht erfüllte. Für mich ist das trotzdem ein Trost: Wie großzügig es gewesen wäre… wenn jemand schon einen so präzisen Wunsch hat.

Ich habe immer noch keine Haare und wahrscheinlich wachsen mir auch keine mehr und ich nehme immer seltener meine Heißluftdusche, ich bin in zu viele Dinge involviert. Dennoch, ohne meine beiden Föne würde ich es nicht schaffen.

FOENS

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