Sorry I’ve been busy while you were dying

A full-size model of my deceased grandmother’s flat made out of all the textiles I inherited form her & mixed-media, dimensions: 6,09 x 3,63 x 2,40 m, 2,14 x 1,21 x 2,40 m, 2,42 x 1,52 x 2,40 m & variable dimensions (2018)

Aujourd’hui, mémère est morte.

Gertrud Holzmann est morte entre le 12.07.2017, à une heure inconnue, et le 26.07.2017, à 15h36, on ne sait pas. Le bureau de l’ordre public m’a informé: «Grand-mère est décédée. Enterrement déjà fait. Condoléances sincères.» Cela ne veut rien dire.

Ich habe als Todesdatum den 14.07.2017 in ihren Grabstein einmeißeln lassen.

Ich kann mir gut vorstellen, dass Frau Holzmann an diesem Tag starb. Eigentlich hatte ich sie zuvor noch besuchen wollen, aber ich war zu beschäftigt eine Ausstellung vorzubereiten, die an diesem Tag eröffnete. Ich zeigte zum ersten Mal meine Arbeit Nuda spes (Instandsetzen) und in aller Aufregung um die Vorbereitung habe ich einen Fahrradfahrer angefahren, der mit einer Gehirnerschütterung ins Krankenhaus gebracht wurde. Diese Zusammenhänge fand ich überaus passend. Zumal meine Großmutter sicherlich nicht gewollt hätte, dass es einen Hinweis auf ihrem Grabstein auf die Unsicherheit ihres Todeszeitpunktes gibt.

I never met my father.

He died when I was twelve years old. His heritage was indebted and so I had to officially reject it or at least that was the reasonable thing to do and since I was a minor a family court had to decide wether my mother who rejected the heritage for me was acting in my best interest. My grandmother rejected it too. This is how we met.

Gertrud Holzmann was a grieving mother for several years. But at one point she was done with grieving and she knew the only way to kill the grief was by killing the mother and abandon everyone knowing her. After this incident I became the only person for the last years of her life that she accepted to spent time with, because I never saw a mother in her and I wasn’t particularly interested in her son as well – I didn’t attend his funeral. If anything, the material implications of our relationship made her more like a father to me.

Thus, on the one hand, in proportion as wealth increased, it made the man’s position in the family more important than the woman’s, and on the other hand created an impulse to exploit this strengthened position in order to overthrow, in favor of his children, the traditional order of inheritance. This, however, was impossible so long as descent was reckoned according to mother- right. Mother-right, therefore, had to be overthrown, and overthrown it was. This was by no means so difficult as it looks to us today. For this revolution – one of the most decisive ever experienced by humanity – could take place without disturbing a single one of the living members of a gens.

– Friedrich Engels, Origin of the Family, Private Property, and the State, p. 30.

I think we shared a common notion that the only way to be free was subjecting to your one’s own rigid regiment.

Le drapeau noir des canuts révoltés fait une apparition « remarquée » dans la manifestation des sans-travail aux Invalides à Paris, le 9 mars 1883, lors d’un meeting organisé par le syndicat des menuisiers. Louise Michel y arbore, pour la première fois, un drapeau improvisé, à partir d’un vieux jupon noir fixé sur un manche à balai.

– Texte de la Défense de Louise Michel, prononcée le 22 juin 1883, devant la Cour d’Assise de la Seine; in Ecrits sur l’Anarchisme - Ed Seghers, 1964.

Wir trinken keinen Sprit, nein wir trinken keinen Sprit,
Denn der wirkt verderblich auf das Gemüt.
Gemüse und Früchte sind flüssig genug,
Drum trinken wir nichts und sind doch sehr klug,
Wir trinken keinen Sprit, nein wir trinken keinen Sprit,
Denn der wirkt verderblich auf das Gemüt.

Wir rauchen nicht Taback, nein wir rauchen nicht Taback,
Das tut nur das scheussliche Sündenpack.
Wir setzen uns lieber auf das Gesäss
Und leben gesund und naturgemäss.
Wir rauchen nicht Taback, nein wir rauchen nicht Taback,
Das tut nur das scheussliche Sündenpack.

Wir essen Salat, ja wir essen Salat
Und essen Gemüse früh und spat.
Und schimpft ihr den Vegetarier einen Tropf,
So schmeissen wir euch eine Walnuss an den Kopf.
Wir essen Salat, ja wir essen Salat
Und essen Gemüse früh und spat.

– Erich Mühsam, Ascona. Eine Broschüre., S. 27f..

And regarding death this doctrine naturally had suicidal connotations.

The most important thing is this:
To be able at any moment,
To sacrifice what you are,
For what you will become!

– Charles Du Bos, Secrets To Success Speech.

Gertrud Holzmann implemented this doctrine rigorously in her budgeting.

While she could have afforded a more comfortable life style her mantra was: »Kaufen kann jeder« – *Buying is for everyone*. For example she used a set of fake flowers on the grave of her son, which she kept in plastic bags for later circulation. Apparently she even used super market receipts for her practice of dadaistic note taking / poetry. Her only leak was her grandson and not only did she pay for two motorbikes for him to calm his nerves but essentially also provided the rescources to realize this work.

Her rigor in abandoning almost all social contact eventually led to the indeterminableness of the time of her death. But as far as I can tell from what I learned about Gertrud Holzmann, she wouldn’t have thought about this as a tragic incident. It was her final work, a statement. Like the ones she lucidly elaborate on, declaring that nothing was sacred to her. Not even death and it was only after her’s that I realized those monologues she loved to give reminded me of the spirit of Stirner:

Eigner bin Ich meiner Gewalt, und Ich bin es dann, wenn Ich Mich als Einzigen weiß. Im Einzigen kehrt selbst der Eigner in sein schöpferisches Nichts zurück, aus welchem er geboren wird. Jedes höhere Wesen über Mir, sei es Gott, sei es der Mensch, schwächt das Gefühl meiner Einzigkeit und erbleicht erst vor der Sonne dieses Bewußtseins. Stell' Ich auf Mich, den Einzigen, meine Sache, dann steht sie auf dem Vergänglichen, dem sterblichen Schöpfer seiner, der sich selbst verzehrt, und Ich darf sagen:

Ich hab' mein' Sach' auf Nichts gestellt.

– Max Stirner, Der Einzige und sein Eigentum, letzter Absatz.

Judith Milz Gedanken zu Felix Buchholz’ Sorry I’ve been busy while you were dying. / Where is my mother’s tongue?

Würde man den Künstler danach fragen, würde er einem vermutlich die gleiche Auskunft geben, daher nehme ich an, dass auch ich alles Folgende sagen darf:
Felix Buchholz hat in der Gellertstraße 14, einer alten Fabrikantenvilla in der Karlsruher Weststadt, im Juli 2018, die Wohnung seiner verstorbenen Großmutter rekonstruiert. Die Wände und Decken dieser Rekonstruktion bestehen aus zusammengenähten Stoffen aus ebenjener Wohnung, die an einem nicht sichtbaren Hängekonstrukt angebracht sind. Man betritt die „Wohnung“, die Installation, per Konzept alleine, ohne Schuhe und solange man will.
Als ich sie betrete, weiß ich, dass Felix Buchholz die einzige Person war, zu der seine Großmutter überhaupt noch Kontakt hatte vor ihrem Tod, er hat mir erzählt, wie ihre gemeinsamen Treffen verlaufen sind, was sie dann taten, wie es in ihrer Wohnung aussah, die sie zuletzt eigentlich kaum mehr verließ, was er über ihr Leben wusste, ihre Eigenheiten und Ansichten, und was das mit seinem Vater, seiner Mutter und seiner eigenen Biografie zu tun hatte. Ich wusste, dass er eines Tages zu einem, wie immer, per Postkarte angekündigten Besuch vorbeikommen wollte und sie zum ersten Mal nicht öffnete, und dass, als die Polizei ihm ein paar Stunden später die Tür aufbrach, sich herausstellte, dass das nicht zum ersten Mal passierte, sondern bereits einige Tage zuvor das Gleiche passiert war, auf Anruf der Nachbarn hin, wegen des Geruchs. Und dass sie nur zwei Tage zuvor, vor seinem Besuch, alleine beerdigt worden sei. Von ihrer eigenen Beerdigung hatte sie eine genaue Vorstellung, die sie mit Felix abgesprochen hatte. So ist es unweit mehr als eine verpasste Chance, ein Abschiedsritual, bei dem allen voran Felix Buchholz nicht Abschied nehmen konnte.

Als ich die Installation betrete, habe ich im Nacken, die Vorstellung ebenjener Person und so mein ich dann manchmal mich umdrehen zu müssen, obwohl ich weiß, dass ich allein in der Stoffwohnung bin. Ich geh ins Wohn-/Schlafzimmer, dort steht, zentral, ein Bett, ein Sarg, eine Totenaufbahrung, in die man sich legen kann, oder soll, oder man soll sich zumindest fragen ob man sich hineinlegen soll oder eben nicht. Oben drauf ist Lavendel gepflanzt, Stoffe, Motten, Lavendel, und als ich mich hinlege gehen drinnen im Sarkophag hinter Stoff verkleidete Leuchtstoffröhren an, sie klicken und brummen, und ich erschrecke mich zu Tode. Ein bisschen ist das jetzt wie auf dem Seziertisch zu liegen, aber es ist auch nicht so unangenehm, dass ich sofort wieder gehen möchte. Beobachtet komme ich mir noch immer vor, so, als ob ich durch die von außen beleuchteten dünnen Stoffwände von dem Künstler, also Felix Buchholz, vielleicht beobachtet werden würde.

Deutungshoheit zu haben ist ein genuin künstlerisches Moment, nur, je mehr eine Geschichte den Anspruch auf eine individuelle Erfahrung, oder Authentizität hat, desto schleichender kommt die Einsicht, dass mit dem angenommenen Tod seiner Großmutter Felix in jeglichen Sinne zu ihrem Alleinerben geworden ist, zur Deutungshoheit auch über ihr Leben, und so zelebriert er hier eine zweite Totenwache. Im Bad geht ein Fön an, ich denke, aha, es ist doch jemand zweites hier, vorher erschrecke ich zu Tode durch das Geräusch, das mich aus meiner arglosen Haltung, der kontemplativen Situation reist. Ich schleiche mich ins Bad, wo einige Föns von der Decke hängen, die jetzt wild im Raum hin- und herschlackern, vom Rückstoß des Föndrucks, der aus dem Nichts gekommen sein muss. Im Flur, der auch, weiß ich, hat er mir erzählt, als Küche genutzt wurde, gibt es ein kleines Stoffloch, eine Höhle für den Kopf in der Wand, eine Aufforderung sich auf den Rücken zu legen und das darin laufende Video über sich anzusehen, von der originalen, nur leergeräumten Wohnung, während Felix die Wohnung beschreibt. Während ich da liege und meine Füße, abgetrennt von meinem Kopf aufgestellt in dem Flur seiner verstorbenen Großmutter liegen, denke ich, wenn sie das sehen könnte, das wäre eine sehr schöne One Minute Sculpture. Also, ich werde das Gefühl nicht los, man beobachtet mich.

35qm sind es insgesamt, einmal geh ich noch durch die Wohnung, auf dem Weg nach draußen ziehe ich meine Schuhe wieder an, ihre stehen noch immer fein aufgereiht da. Im Foyer der Gellertstraße 14, in dem man sich jetzt wieder befindet, findet man auf dem dort an der Treppe angebrachten Lift liegt ein bedrucktes Handtuch liegen, bedruckt mit einem Foto der Frau, die Felix Großmutter ist. Sie hat ein Kleidungsstück mit Leoprint an und sieht sehr schick aus damit, ein bisschen makaber ist das schon, sie liegt da so flach auf dem Treppenlift, sieht aber ganz zufrieden dabei aus. Daneben findet sich am Boden so eine Art Schrein, und über all dem hängt eine schwarze Flagge, eben, Totenwache. Und Felix, der Totenwächter?, weil, was man nicht vergessen darf, niemand hat sich die Ausstellung angesehen, ohne, dass er die Haustür geöffnet hat, und ohne, dass er wieder da war, wenn man rauskam. Wenn man dann mit ihm gesprochen hat, haben drinnen die Föns immer noch weitergeturnt von Zeit zu Zeit und vielleicht hat er einem dann erst mal ein Glas Leitungswasser angeboten.

– Judith Milz